Interpretation
Einleitung
Kurze Zusammenfassung
In der 1797 veröffentlichten Komödie «der gestiefelte Kater» von Ludwig Tieck teilen drei Brüder das Erbe ihres Vaters auf. Die beiden älteren Brüder bekommen Pferd und Ochse, während der jüngste den Kater Hinze erbt. Verdutzt stellt er fest, dass das Tier sprechen kann. Hinze verspricht Gottlieb, ihm zu einem besseren Leben zu verhelfen. Das Einzige, was er dazu brauche, sei dessen Vertrauen und ein Paar Stiefel. Dann macht er sich auf, um zu jagen.
Im Palast klagt der König währenddessen, dass seine Tochter erneut einen Bewerber abgewiesen hat und der Koch keine Kaninchen mehr auftischt. In der Krise taucht Hinze als Retter auf. Er hat Kaninchen gejagt und übergibt sie dem Monarchen mit Grüssen des Grafen von Carabas. Es scheint niemandem aufzufallen, dass Hinze in Wahrheit ein Kater ist. Das vom Autor als weitere Handlungsebene präsentierte Publikum sieht das als grossen Kritikpunkt an.
Der dritte Akt beginnt scheinbar zu früh, denn als der Vorhang sich öffnet, stehen dort Dichter und Maschinist. Jene streiten über den weiteren Verlauf des Stückes. Das Publikum ist verwirrt und vermutet, dass es sich um einen Bestandteil des Stückes handelt. Doch der Schauspieler des Hanswurst versichert ihnen das Gegenteil. Dieser scheint dazu überaus unzufrieden mit seiner kleinen Rolle zu sein und bezeichnet den Dichter als geschmacklos, worauf es zu einem Streit zwischen dem Dichter und dem Schauspieler kommt.
Nach diesem kurzen Zwischenspiel wird der Handlungsfaden wiederaufgenommen. Es scheint einige Zeit vergangen zu sein. Der Jäger hat, so erklärt der König, immer wieder seine Jagdbeute im Namen des Grafen Carabas bei ihm vorbeigebracht. Er scheint den Grafen ins Herz geschlossen zu haben, ohne ihm jemals begegnet zu sein und ist nun entschlossen, ihn zu besuchen. Damit sein Lügennetz nicht aufliegt, hat der Kater einen gewieften Plan: Er läuft der königlichen Kutsche voraus. Jedem, dem er begegnet, bittet er dem König mitzuteilen, dass hier der Graf von Carabas regiere. An einem Fluss trifft er dann Gottlieb. Er weist ihn an, sich auszuziehen und in den Fluss zu steigen. Der Kater versteckt die Kleider Gottliebs und geht dann zur Kutsche zurück. Dem König erzählt er, dass dem Grafen von Carabas die Kleidung während des Badens gestohlen wurde und er ertrinke. Ein Bediensteter des Königs eilt dem vermeintlichen Grafen sogleich zu Hilfe und übergibt ihm neue Kleidungsstücke. Als Gottlieb (alias der Graf von Carabas) diese angezogen hat, trifft er auf den König und sie fahren zu einem Grafenpalast. Dort lebt an sich der Popanz. Mithilfe eines Tricks Hinzes verwandelt sich dieser jedoch in eine Maus, die vom Kater verspeist wird. Beim Palast angekommen, bietet der König Gottlieb die Hand seiner Tochter an. Hinze wird in den Adelsstand erhoben. Alle sind glücklich und zufrieden. Wenn man vom Publikum absieht, denn das ist von der Dreistigkeit des Dichters, ihnen dieses Stück aufzutischen, empört. In einem Epilog tritt der Autor daher noch einmal vor das wütende Publikum mit dem Versuch, sich nun zu erklären. Er scheitert und die empörten Zuschauer bewerfen ihn mit faulem Obst. So endet das Stück.
Werkaufbau
Die Komödie besteht aus einem Prolog, drei Akten, die wiederum in Szenen unterteilt werden, zwei Zwischen-Akten und einem Epilog. Von diesem äusseren Aufbau abgesehenen kann es in vier Handlungsebenen unterteilt werden.
1. Ebene
Das reale Publikum
2. Ebene
Das Publikum im Stück
3. Ebene
Das Stück der gestiefelte Kater:
Hinze, Gottlieb, der König, Prinzessin etc.
4. Ebene *
Das Lügennetz Hinzes
Hinze > der Jäger
Gottlieb> der Graf von Carabas
*Anmerkung zu Ebene 4:
Hinze wird von den Beteiligten ausserhalb des Lügennetzes nicht als Kater selbst erkannt. Manchmal fällt er aus der Rolle des Jägers heraus und nimmt die Verhaltensmuster des Katers an. Bei den Gebrüdern Grimm ist das anders, deswegen haben wir uns dazu entschieden, dem Kater als Jäger in eine neue Ebene zu zuweisen.
Interpretationshypothese
Das Theaterstück Tiecks ist eine Komödie. Der Schwerpunkt liegt nicht auf dem «Stück im Stück», also dem Märchen selbst, sondern auf der Reaktion der Zuschauer. Tieck hat das fiktive Publikum zum Charakter erhoben und in das Märchen integriert. Das erklärt die Vielzahl der Figuren. Der Schriftsteller legt die Komödie im Geist seiner Zeit – der Zeit, der französischen Revolution und der Spätaufklärung - aus. Das Märchen selbst enthält monarchiekritische, revolutionäre Anklänge. Statt mit politischer Parteinahme zu reagieren, lehnt das Publikum es ab. Es ist nicht in der Lage, zu verstehen, was hier geschieht. Tieck verspottet hier Volksaufklärung, radikale Aufklärung und die Sympathien deutscher Gelehrter für die Revolution. Die hohen Ideale der Aufklärer wie der Revolutionäre laufen letztlich ins Leere, da das Volk nicht annähernd in der Lage ist, es aufzunehmen. Es ist zur Herrschaft nicht willens und nicht fähig.
Das Drama besteht aus vier Ebenen, die stark miteinander vernetzt sind. Im Laufe der Handlung werden immer wieder Bezüge bzw. Sprünge zu den anderen Ebenen vorgenommen, wodurch die Illusion bewusst zerstört wird. Dem Publikum wird immer klar gemacht, dass es sich um eine Fiktion handelt.
Interpretation
Das Stück im Stück wird vom Schriftsteller nicht genau ausgeführt. Wenn man nur auf das Märchen schaut, sind viele Dinge ungeklärt. Sie sind offenbar für den genauen Verlauf des Stück selbst nicht wichtig. Deswegen schliesse ich darauf, dass es nicht um das Märchen selbst geht. Es wird instrumentalisiert, um zu verdeutlichen, dass das Publikum nicht in der Lage ist, sich auf etwas Neues einzulassen. Die Zuschauer sind strukturkonservativ, sie wollen nichts Neues, sondern erwarten, dass das Stück einer festgelegten Struktur folgt. Sie vergleichen Szenen, die ihnen im Stück gefallen mit dem Werk “die Zauberflöte” – dieses Werk kennen sie.
(1) "Wiesener zu seinem Nachbar: Mir gefällt jetzt das Stück.
Nachbar: Sehr hübsch, in der Tat hübsch; ein großer Mann, der Dichter-hat die Zauberflöte gut nachgeahmt."(S.14)
(2) "Wiesener: Haben Sie's wohl gehört? -Er wird durchs Feuer laufen.-Schön! Da bekommen wir noch die Dekoration aus der Zauberflöte, mit dem Wasser und Feuer." (S.29)
(3) Der Besänftigter singt ein paar Textstellen aus Zauberflöte und stimmt so das Publikum wieder gut:
(...) "Das Parterre fängt an zu klatschen, indem verwandelt sich das Theater; das Feuer und das Wasser aus der Zauberflöte fängt an zu spielen, oben sieht man den offnen Sonnentempel, der Himmel ist offen, und Jupiter sitzt darin, unten die Hölle mit Tarkaleon; Kobolde und Hexen auf dem Theater, viel Licht. Das Publikum klatscht unmäßig, alles ist in Aufruhr." (39)
Ich denke, dass Tieck mit dieser Stelle nicht zuletzt auf das Verhalten seiner Kollegen anspielt. Diese passen sich den Erwartungen der Gesellschaft an, um erfolgreich zu sein. Er selbst möchte sich nicht an die ästhetischen Massstäbe halten und sich der freien Kunst verschreiben, wenngleich er weiss, dass dies keine kluge Wahl ist.
So hat Tieck den Charakter des Publikums in das Märchen einfliessen lassen. beispielsweise beim König. Wie das Publikum ist er unflexibel und einfältig. Der König mag beispielsweise die lehrreichen Ausführungen und Diskussionen Leanders bei Tisch. Einmal fragt er Leander, wie weit die Sonne von der Erde entfernt ist. Er ist beeindruckt von den hohen Zahlen. Als er aber nach der höchsten Zahl fragt, kann er nicht begreifen, dass es keine höchste Zahl gibt.
"Leander: Wenn wir eine Million wieder als Eins an sehn, dann ohngefähr zehnmal hunderttausend Trillionen solcher Einheiten, die jede an sich schon eine Million Meilen ausmachen.
König: Denkt nur, Kinder denkt! - Sollte man meinen, daß das Ding von Welt so groß sein könnte? Aber wie das den Geist beschäftigt!(…)
König: (…) Gelehrter, wie viel Zahlen gibt es denn?
Leander: Unendlich viel.
König: Sagt mal geschwind die höchste Zahl."
Denselben Eindruck habe ich vom Publikum. Es kennt viele Werke und deren Aufbau. Es scheint ihm aber schwer zu fallen, sich auf ein neues Stück einzulassen. Es ist unflexibel und begreift die Aussage des Stücks nicht.
"Dichter: Daß ich nicht wüßte; ich wollte nur den Versuch machen, Sie allein die entfernten Empfindungen Ihrer Kinderjahre zurückzuversetzen, daß Sie dadurch das dargestellte Märchen empfunden hätten, ohne es doch für etwas Wichtigeres zuhalten, als es sein sollte.
Leutner: Das geht nicht so leicht, mein guter Mann.
Dichter: Sie hätten dann freilich Ihre ganze Ausbildung auf zwei Stunden beiseitelegen müssen."
Doch schon im ersten Akt sind die Zuschauer voreingenommen. Sie versuchen, das Stück anhand des Titels in eine Kategorie einzuordnen. Die Vorstellung, dass ein Kater in dem Stück spiele, ist für sie skandalös. Sie vermuten, sich in einem Kinderstück zu befinden, was empört.
"Müller: Ich hätte mir eher des Himmels Einfall vermutet als ein solches Stück auf unserm großen Theater zu sehn- auf unserm National-Theater! Ei! ei! nach allen den Wochenschriften, den kostbaren Kleidungen, und den vielen, vielen Ausgaben! Fischer: Kennen Sie das Stück schon? Müller: Nicht im mindesten.- Einen wunderlichen Titel führt es: Der gestiefelte Kater.- Ich hoffe doch nimmermehr, daß man die Kinderpossen wird aufs Theaterbringen
(…)Fischer: Nichts weniger, auf dem Komödienzettel steht: ein Kindermärchen.
Schlosser: Ein Kindermärchen? Aber ums Himmelswillen, sind wir denn Kinder, daß man uns solche Stücke aufführen will? Es wird doch wohl nun und nimmermehr ein ordentlicher Kater aufs Theater kommen? "
Tieck bedient sich in seiner Dramaturgie der romantischen Ironie. Er spielt mit den Erwartungen des Publikums und lässt sie ins Leere laufen. So kommen im Stück zwei Szenen mit den Liebenden vor. Das Publikum sieht in der ersten Szene «endlich etwas realistisches». Mit der zweiten Szene verspottet Tieck diese Erwartungshaltung, denn die Liebe scheint nach der Hochzeit verflogen und jede Romantik ist aus jener Beziehung gewichen. Hinze unterstreicht die Lächerlichkeit der ersten kitschigen Szene.
"Es entsteht ein gewaltiges Pochen und Pfeifen im Parterre; man hustet, man zischt, die Galerie lacht; der König richtet sich auf, nimmt den Mantel in Ordnung und setzt sich mit dem Zepter in größter Majestät hin. Alles ist umsonst, der Lärm wird immer größer, alle Schauspieler vergessen ihre Rollen, auf dem Theater eine fürchterliche Pause.-Hinze ist eine Säule hinangeklettert." (S.23)
Schauspieler fällt aus seiner Rolle Hanswurst und spricht zum Publikum:
"Hanswurst: Kann sein, ich weiß nicht; jetzt aber, verstehn Sie mich, jetzt rede ich ja zu Ihnen als bloßer Schauspieler zu den Zuschauern, nicht als Hanswurst, sondern als Mensch zu einem Publikum, das nicht in der Illusion begriffen ist, sondern sich außerhalb derselben befindet; kühl, vernünftig, bei sich, vom Wahnsinn der Kunst unberührt. Kapieren Sie mich? Können Sie mir folgen? Distinguieren Sie? "
Hier fällt der Schauspieler aus seiner Rolle (Ebene 3>Ebene 2):
"Hanswurst gegen das Parterre: Ist es nicht ein närrischer Mensch? Ich und das verehrungswürdige Publikum stehn nun beide gleichsam auf du und du, und sympathisieren in Ansehung des Geschmacks, und doch will er gegen meine Meinung behaupten, das Publikum im gestiefelten Kater sei gut gezeichnet." (S.32)
Die Uraufführung
Die Uraufführung fand in Berlin am 20. April 1844 – im Vormärz also - statt. Laut Berichten stiess das Stück ausschliesslich auf negative Resonanz. Laut Tieck hätte sich das Publikum „wie es... in der Posse gezeigt worden“ verhalten. Das Publikum verhielt sich, wie das fiktive Publikum. Ist also seine Kritik am Publikum berechtigt?
Bezug zu seiner Zeit
Tiecks Werk gehört literaturgeschichtlich in die Romantik. Diese wird als eine Reaktion bzw. Gegenbewegung der parallel-bestehenden Epoche- der Aufklärung gesehen. Sie wirkte jener auf Vernunft basierenden Auffassung mit Themen, wie Gefühlen, Leidenschaft und Individualität entgegen. Viele Romantiker beziehen sich auf die Vergangenheit und nutzen als Stilmittel die Märchen. Wie jene setzt Tieck Bezüge zur Revolution. In seinem Werk nutz er ein Märchen als Stilmittel und bringt Bezüge zu seiner Zeit.
Die Vergangenheit ist mit Recht ein Spiegel der Zukunft zu nennen, und deswegen ist schon zum bessern Verständnis der Zeitgeschichte die Kenntnis der alten Welt nützlich. (Ludwig Tieck)
Die Romantikautoren wollen mit ihren Stücken unterhalten und stehen dem Bildungstheater kritisch gegenüber. Der neue Souverän – das Volk – ist in ihren Augen genauso beschränkt wie der Monarch. Fortschritt erscheint in diesem Kontext nur bedingt möglich zu sein.
Am Ende schliesst der Dichter mit den Worten:
O du undankbares Jahrhundert! (…) Die wenigen, die noch im Theater waren, gehen nach Hause.
Bezug zu Heute
Meiner Meinung nach vermittelt das Werk auch heute eine solche Botschaft. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Bildung einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat. Die Schulen tendieren dazu, eine bestimmte Meinung zu vermitteln. Die eigene Meinung gerät in den Hintergrund und man beruft sich lieber auf Autoritäten, als ein Risiko einzugehen. In Tiecks Werk beruft sich das Publikum zum Beispiel auf die Zauberflöte. Die Menschen sind häufig voreingenommen, wollen wissen, was sie vor einer bestimmten Aufführung erwartet. Ich denke dort liegt das Problem. Meiner Ansicht nach sollte man an eine Aufführung unvoreingenommen heran gehen. Nach meiner Erfahrung kann man sich besser auf ein Stück einlassen, wenn man keine Erwartungen an das Stück hat und sich einfach überraschen lässt.
Dazu kommt Tiecks Kritik an seinen Zeitgenossen. Das kann man heute auch im Fernsehen und bei den Influencern auf Socialmedia-Plattformen beobachten. Statt ihre eigene Vorstellung umsetzten, haben viele sich den Erwartungen ihrer Zuschauer angepasst. Heute sieht man durch die Algorithmen im Internet nur das, was man sehen will. Die Meinung der Person wird so nur unterstützt und nicht hinterfragt. So steigt die Tendenz zu einer Radikalisierung. Der Mensch ist nur bedingt kritikfähig, schlicht und ergreifend deswegen, weil er nicht gelernt hat damit umzugehen. Kaum jemand verlässt seine eigene Komfortzone. So könnte man also sagen, dass wir auch heute noch mit dem fiktiven Publikum Tiecks vergleichbar sind, da es uns noch heute schwerfällt, sich auf etwas einzulassen. Dieses Verhalten wird durch das Internet auch zunehmend gefördert und gefestigt.
Fazit
Das ist Stück ist meines Erachtens gesellschaftskritisch. Zum einen kritisierte Tieck zeitgenössische Autoren, die ihre Werke zu sehr in ihrer künstlerischen Freiheit einschränken, nur um beim Publikum besser anzukommen. Zum anderen kritisiert er das Publikum selbst, dass sich auf die künstlerischen Innovationen nicht einlassen kann. Es ist engstirnig, phantasielos geworden und so der freien Kunst verschlossen.
Meiner Meinung nach will Tieck mit dem Stück seine Genialität unter Beweis stellen. Er konstruiert ein hochkomplexes Handlungsgeflecht auf mehreren Ebenen, ohne den Faden zu verlieren. Dabei wird es für einen schlichten Zuschauer naturgemäss schwierig, die Handlung weiter nachzuvollziehen. Dadurch stiess das Stück bei der Uraufführung wahrscheinlich auch auf so negative Resonanz. Die Zuschauer waren phantasielos und voreingenommen und konnten die Handlung nach einiger Zeit nicht mehr nachvollziehen. Leander wird in dem Stück als Melancholiker gezeichnet und als ein verkannter Künstler. Ich vermute, dass durch ihn Tiecks Meinung offen ausgesprochen wird. Leander ist sozusagen Tiecks «Alter Ego». Das wird vor allem bei der Diskussion zwischen Leander und Hanswurst deutlich. Dort behauptet jener, das Stück “der gestiefelte Kater” geschrieben zu haben. Die Namen der Zuschauer sind zudem die von Handwerkern. Dies kann ein Bezug auf das Leben des Dichters sein, da Tieck Sohn eines Seilermeisters war. Ich vermute deshalb, dass seine Beziehung zu seinem Vater schwierig gewesen sein könnte und dies ihn zusätzlich zu diesem Werk veranlasst hat. Doch das ist natürlich eine Hypothese, die allein auf Spekulationen beruht. Allgemein ist das Werk voller möglicher Interpretationsansätze. So könnte man auf die erwähnten Szenen mit dem Liebespaar genauer eingehen. Jene und das sehr knappe Ende des Liebesmärchens könnten eine Kritik zu der Neigung zeitgenössischer, romantischer Dichter zum Kitsch sein.
Einleitung
Kurze Zusammenfassung
In der 1797 veröffentlichten Komödie «der gestiefelte Kater» von Ludwig Tieck teilen drei Brüder das Erbe ihres Vaters auf. Die beiden älteren Brüder bekommen Pferd und Ochse, während der jüngste den Kater Hinze erbt. Verdutzt stellt er fest, dass das Tier sprechen kann. Hinze verspricht Gottlieb, ihm zu einem besseren Leben zu verhelfen. Das Einzige, was er dazu brauche, sei dessen Vertrauen und ein Paar Stiefel. Dann macht er sich auf, um zu jagen.
Im Palast klagt der König währenddessen, dass seine Tochter erneut einen Bewerber abgewiesen hat und der Koch keine Kaninchen mehr auftischt. In der Krise taucht Hinze als Retter auf. Er hat Kaninchen gejagt und übergibt sie dem Monarchen mit Grüssen des Grafen von Carabas. Es scheint niemandem aufzufallen, dass Hinze in Wahrheit ein Kater ist. Das vom Autor als weitere Handlungsebene präsentierte Publikum sieht das als grossen Kritikpunkt an.
Der dritte Akt beginnt scheinbar zu früh, denn als der Vorhang sich öffnet, stehen dort Dichter und Maschinist. Jene streiten über den weiteren Verlauf des Stückes. Das Publikum ist verwirrt und vermutet, dass es sich um einen Bestandteil des Stückes handelt. Doch der Schauspieler des Hanswurst versichert ihnen das Gegenteil. Dieser scheint dazu überaus unzufrieden mit seiner kleinen Rolle zu sein und bezeichnet den Dichter als geschmacklos, worauf es zu einem Streit zwischen dem Dichter und dem Schauspieler kommt.
Nach diesem kurzen Zwischenspiel wird der Handlungsfaden wiederaufgenommen. Es scheint einige Zeit vergangen zu sein. Der Jäger hat, so erklärt der König, immer wieder seine Jagdbeute im Namen des Grafen Carabas bei ihm vorbeigebracht. Er scheint den Grafen ins Herz geschlossen zu haben, ohne ihm jemals begegnet zu sein und ist nun entschlossen, ihn zu besuchen. Damit sein Lügennetz nicht aufliegt, hat der Kater einen gewieften Plan: Er läuft der königlichen Kutsche voraus. Jedem, dem er begegnet, bittet er dem König mitzuteilen, dass hier der Graf von Carabas regiere. An einem Fluss trifft er dann Gottlieb. Er weist ihn an, sich auszuziehen und in den Fluss zu steigen. Der Kater versteckt die Kleider Gottliebs und geht dann zur Kutsche zurück. Dem König erzählt er, dass dem Grafen von Carabas die Kleidung während des Badens gestohlen wurde und er ertrinke. Ein Bediensteter des Königs eilt dem vermeintlichen Grafen sogleich zu Hilfe und übergibt ihm neue Kleidungsstücke. Als Gottlieb (alias der Graf von Carabas) diese angezogen hat, trifft er auf den König und sie fahren zu einem Grafenpalast. Dort lebt an sich der Popanz. Mithilfe eines Tricks Hinzes verwandelt sich dieser jedoch in eine Maus, die vom Kater verspeist wird. Beim Palast angekommen, bietet der König Gottlieb die Hand seiner Tochter an. Hinze wird in den Adelsstand erhoben. Alle sind glücklich und zufrieden. Wenn man vom Publikum absieht, denn das ist von der Dreistigkeit des Dichters, ihnen dieses Stück aufzutischen, empört. In einem Epilog tritt der Autor daher noch einmal vor das wütende Publikum mit dem Versuch, sich nun zu erklären. Er scheitert und die empörten Zuschauer bewerfen ihn mit faulem Obst. So endet das Stück.
Werkaufbau
Die Komödie besteht aus einem Prolog, drei Akten, die wiederum in Szenen unterteilt werden, zwei Zwischen-Akten und einem Epilog. Von diesem äusseren Aufbau abgesehenen kann es in vier Handlungsebenen unterteilt werden.
1. Ebene
Das reale Publikum
2. Ebene
Das Publikum im Stück
3. Ebene
Das Stück der gestiefelte Kater:
Hinze, Gottlieb, der König, Prinzessin etc.
4. Ebene *
Das Lügennetz Hinzes
Hinze > der Jäger
Gottlieb> der Graf von Carabas
*Anmerkung zu Ebene 4:
Hinze wird von den Beteiligten ausserhalb des Lügennetzes nicht als Kater selbst erkannt. Manchmal fällt er aus der Rolle des Jägers heraus und nimmt die Verhaltensmuster des Katers an. Bei den Gebrüdern Grimm ist das anders, deswegen haben wir uns dazu entschieden, dem Kater als Jäger in eine neue Ebene zu zuweisen.
Interpretationshypothese
Das Theaterstück Tiecks ist eine Komödie. Der Schwerpunkt liegt nicht auf dem «Stück im Stück», also dem Märchen selbst, sondern auf der Reaktion der Zuschauer. Tieck hat das fiktive Publikum zum Charakter erhoben und in das Märchen integriert. Das erklärt die Vielzahl der Figuren. Der Schriftsteller legt die Komödie im Geist seiner Zeit – der Zeit, der französischen Revolution und der Spätaufklärung - aus. Das Märchen selbst enthält monarchiekritische, revolutionäre Anklänge. Statt mit politischer Parteinahme zu reagieren, lehnt das Publikum es ab. Es ist nicht in der Lage, zu verstehen, was hier geschieht. Tieck verspottet hier Volksaufklärung, radikale Aufklärung und die Sympathien deutscher Gelehrter für die Revolution. Die hohen Ideale der Aufklärer wie der Revolutionäre laufen letztlich ins Leere, da das Volk nicht annähernd in der Lage ist, es aufzunehmen. Es ist zur Herrschaft nicht willens und nicht fähig.
Das Drama besteht aus vier Ebenen, die stark miteinander vernetzt sind. Im Laufe der Handlung werden immer wieder Bezüge bzw. Sprünge zu den anderen Ebenen vorgenommen, wodurch die Illusion bewusst zerstört wird. Dem Publikum wird immer klar gemacht, dass es sich um eine Fiktion handelt.
Interpretation
Das Stück im Stück wird vom Schriftsteller nicht genau ausgeführt. Wenn man nur auf das Märchen schaut, sind viele Dinge ungeklärt. Sie sind offenbar für den genauen Verlauf des Stück selbst nicht wichtig. Deswegen schliesse ich darauf, dass es nicht um das Märchen selbst geht. Es wird instrumentalisiert, um zu verdeutlichen, dass das Publikum nicht in der Lage ist, sich auf etwas Neues einzulassen. Die Zuschauer sind strukturkonservativ, sie wollen nichts Neues, sondern erwarten, dass das Stück einer festgelegten Struktur folgt. Sie vergleichen Szenen, die ihnen im Stück gefallen mit dem Werk “die Zauberflöte” – dieses Werk kennen sie.
(1) "Wiesener zu seinem Nachbar: Mir gefällt jetzt das Stück.
Nachbar: Sehr hübsch, in der Tat hübsch; ein großer Mann, der Dichter-hat die Zauberflöte gut nachgeahmt."(S.14)
(2) "Wiesener: Haben Sie's wohl gehört? -Er wird durchs Feuer laufen.-Schön! Da bekommen wir noch die Dekoration aus der Zauberflöte, mit dem Wasser und Feuer." (S.29)
(3) Der Besänftigter singt ein paar Textstellen aus Zauberflöte und stimmt so das Publikum wieder gut:
(...) "Das Parterre fängt an zu klatschen, indem verwandelt sich das Theater; das Feuer und das Wasser aus der Zauberflöte fängt an zu spielen, oben sieht man den offnen Sonnentempel, der Himmel ist offen, und Jupiter sitzt darin, unten die Hölle mit Tarkaleon; Kobolde und Hexen auf dem Theater, viel Licht. Das Publikum klatscht unmäßig, alles ist in Aufruhr." (39)
Ich denke, dass Tieck mit dieser Stelle nicht zuletzt auf das Verhalten seiner Kollegen anspielt. Diese passen sich den Erwartungen der Gesellschaft an, um erfolgreich zu sein. Er selbst möchte sich nicht an die ästhetischen Massstäbe halten und sich der freien Kunst verschreiben, wenngleich er weiss, dass dies keine kluge Wahl ist.
So hat Tieck den Charakter des Publikums in das Märchen einfliessen lassen. beispielsweise beim König. Wie das Publikum ist er unflexibel und einfältig. Der König mag beispielsweise die lehrreichen Ausführungen und Diskussionen Leanders bei Tisch. Einmal fragt er Leander, wie weit die Sonne von der Erde entfernt ist. Er ist beeindruckt von den hohen Zahlen. Als er aber nach der höchsten Zahl fragt, kann er nicht begreifen, dass es keine höchste Zahl gibt.
"Leander: Wenn wir eine Million wieder als Eins an sehn, dann ohngefähr zehnmal hunderttausend Trillionen solcher Einheiten, die jede an sich schon eine Million Meilen ausmachen.
König: Denkt nur, Kinder denkt! - Sollte man meinen, daß das Ding von Welt so groß sein könnte? Aber wie das den Geist beschäftigt!(…)
König: (…) Gelehrter, wie viel Zahlen gibt es denn?
Leander: Unendlich viel.
König: Sagt mal geschwind die höchste Zahl."
Denselben Eindruck habe ich vom Publikum. Es kennt viele Werke und deren Aufbau. Es scheint ihm aber schwer zu fallen, sich auf ein neues Stück einzulassen. Es ist unflexibel und begreift die Aussage des Stücks nicht.
"Dichter: Daß ich nicht wüßte; ich wollte nur den Versuch machen, Sie allein die entfernten Empfindungen Ihrer Kinderjahre zurückzuversetzen, daß Sie dadurch das dargestellte Märchen empfunden hätten, ohne es doch für etwas Wichtigeres zuhalten, als es sein sollte.
Leutner: Das geht nicht so leicht, mein guter Mann.
Dichter: Sie hätten dann freilich Ihre ganze Ausbildung auf zwei Stunden beiseitelegen müssen."
Doch schon im ersten Akt sind die Zuschauer voreingenommen. Sie versuchen, das Stück anhand des Titels in eine Kategorie einzuordnen. Die Vorstellung, dass ein Kater in dem Stück spiele, ist für sie skandalös. Sie vermuten, sich in einem Kinderstück zu befinden, was empört.
"Müller: Ich hätte mir eher des Himmels Einfall vermutet als ein solches Stück auf unserm großen Theater zu sehn- auf unserm National-Theater! Ei! ei! nach allen den Wochenschriften, den kostbaren Kleidungen, und den vielen, vielen Ausgaben! Fischer: Kennen Sie das Stück schon? Müller: Nicht im mindesten.- Einen wunderlichen Titel führt es: Der gestiefelte Kater.- Ich hoffe doch nimmermehr, daß man die Kinderpossen wird aufs Theaterbringen
(…)Fischer: Nichts weniger, auf dem Komödienzettel steht: ein Kindermärchen.
Schlosser: Ein Kindermärchen? Aber ums Himmelswillen, sind wir denn Kinder, daß man uns solche Stücke aufführen will? Es wird doch wohl nun und nimmermehr ein ordentlicher Kater aufs Theater kommen? "
Tieck bedient sich in seiner Dramaturgie der romantischen Ironie. Er spielt mit den Erwartungen des Publikums und lässt sie ins Leere laufen. So kommen im Stück zwei Szenen mit den Liebenden vor. Das Publikum sieht in der ersten Szene «endlich etwas realistisches». Mit der zweiten Szene verspottet Tieck diese Erwartungshaltung, denn die Liebe scheint nach der Hochzeit verflogen und jede Romantik ist aus jener Beziehung gewichen. Hinze unterstreicht die Lächerlichkeit der ersten kitschigen Szene.
- Szene: "Er will abgehen, man klatscht heftig und ruft allgemein dacapo, er muß die letzte schöne Stelle noch einmal hersagen, dann verneigt er sich ehrerbietig und geht mit dem Kaninchen ab." (S.17)
- Szene: Er: "Geh, du bist mir zur Last. Sie: Du bist mir zuwider. Er: Eine schöne Liebe! Sie: Jämmerlicher Heuchler, wie hast du mich betrogen! (…) Beide: Der Teufel hat's geholt! Das kommt vom Heiraten! Hinze: So ist die Jagd noch nie gestört worden.-Wenn Sie doch geruhen wollten, zu bemerken, daß dieses freie Feld für Ihre Schmerzen offenbar zu enge ist, und irgendeinen Berg besteigen."
"Es entsteht ein gewaltiges Pochen und Pfeifen im Parterre; man hustet, man zischt, die Galerie lacht; der König richtet sich auf, nimmt den Mantel in Ordnung und setzt sich mit dem Zepter in größter Majestät hin. Alles ist umsonst, der Lärm wird immer größer, alle Schauspieler vergessen ihre Rollen, auf dem Theater eine fürchterliche Pause.-Hinze ist eine Säule hinangeklettert." (S.23)
Schauspieler fällt aus seiner Rolle Hanswurst und spricht zum Publikum:
"Hanswurst: Kann sein, ich weiß nicht; jetzt aber, verstehn Sie mich, jetzt rede ich ja zu Ihnen als bloßer Schauspieler zu den Zuschauern, nicht als Hanswurst, sondern als Mensch zu einem Publikum, das nicht in der Illusion begriffen ist, sondern sich außerhalb derselben befindet; kühl, vernünftig, bei sich, vom Wahnsinn der Kunst unberührt. Kapieren Sie mich? Können Sie mir folgen? Distinguieren Sie? "
Hier fällt der Schauspieler aus seiner Rolle (Ebene 3>Ebene 2):
"Hanswurst gegen das Parterre: Ist es nicht ein närrischer Mensch? Ich und das verehrungswürdige Publikum stehn nun beide gleichsam auf du und du, und sympathisieren in Ansehung des Geschmacks, und doch will er gegen meine Meinung behaupten, das Publikum im gestiefelten Kater sei gut gezeichnet." (S.32)
Die Uraufführung
Die Uraufführung fand in Berlin am 20. April 1844 – im Vormärz also - statt. Laut Berichten stiess das Stück ausschliesslich auf negative Resonanz. Laut Tieck hätte sich das Publikum „wie es... in der Posse gezeigt worden“ verhalten. Das Publikum verhielt sich, wie das fiktive Publikum. Ist also seine Kritik am Publikum berechtigt?
Bezug zu seiner Zeit
Tiecks Werk gehört literaturgeschichtlich in die Romantik. Diese wird als eine Reaktion bzw. Gegenbewegung der parallel-bestehenden Epoche- der Aufklärung gesehen. Sie wirkte jener auf Vernunft basierenden Auffassung mit Themen, wie Gefühlen, Leidenschaft und Individualität entgegen. Viele Romantiker beziehen sich auf die Vergangenheit und nutzen als Stilmittel die Märchen. Wie jene setzt Tieck Bezüge zur Revolution. In seinem Werk nutz er ein Märchen als Stilmittel und bringt Bezüge zu seiner Zeit.
Die Vergangenheit ist mit Recht ein Spiegel der Zukunft zu nennen, und deswegen ist schon zum bessern Verständnis der Zeitgeschichte die Kenntnis der alten Welt nützlich. (Ludwig Tieck)
Die Romantikautoren wollen mit ihren Stücken unterhalten und stehen dem Bildungstheater kritisch gegenüber. Der neue Souverän – das Volk – ist in ihren Augen genauso beschränkt wie der Monarch. Fortschritt erscheint in diesem Kontext nur bedingt möglich zu sein.
Am Ende schliesst der Dichter mit den Worten:
O du undankbares Jahrhundert! (…) Die wenigen, die noch im Theater waren, gehen nach Hause.
Bezug zu Heute
Meiner Meinung nach vermittelt das Werk auch heute eine solche Botschaft. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Bildung einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat. Die Schulen tendieren dazu, eine bestimmte Meinung zu vermitteln. Die eigene Meinung gerät in den Hintergrund und man beruft sich lieber auf Autoritäten, als ein Risiko einzugehen. In Tiecks Werk beruft sich das Publikum zum Beispiel auf die Zauberflöte. Die Menschen sind häufig voreingenommen, wollen wissen, was sie vor einer bestimmten Aufführung erwartet. Ich denke dort liegt das Problem. Meiner Ansicht nach sollte man an eine Aufführung unvoreingenommen heran gehen. Nach meiner Erfahrung kann man sich besser auf ein Stück einlassen, wenn man keine Erwartungen an das Stück hat und sich einfach überraschen lässt.
Dazu kommt Tiecks Kritik an seinen Zeitgenossen. Das kann man heute auch im Fernsehen und bei den Influencern auf Socialmedia-Plattformen beobachten. Statt ihre eigene Vorstellung umsetzten, haben viele sich den Erwartungen ihrer Zuschauer angepasst. Heute sieht man durch die Algorithmen im Internet nur das, was man sehen will. Die Meinung der Person wird so nur unterstützt und nicht hinterfragt. So steigt die Tendenz zu einer Radikalisierung. Der Mensch ist nur bedingt kritikfähig, schlicht und ergreifend deswegen, weil er nicht gelernt hat damit umzugehen. Kaum jemand verlässt seine eigene Komfortzone. So könnte man also sagen, dass wir auch heute noch mit dem fiktiven Publikum Tiecks vergleichbar sind, da es uns noch heute schwerfällt, sich auf etwas einzulassen. Dieses Verhalten wird durch das Internet auch zunehmend gefördert und gefestigt.
Fazit
Das ist Stück ist meines Erachtens gesellschaftskritisch. Zum einen kritisierte Tieck zeitgenössische Autoren, die ihre Werke zu sehr in ihrer künstlerischen Freiheit einschränken, nur um beim Publikum besser anzukommen. Zum anderen kritisiert er das Publikum selbst, dass sich auf die künstlerischen Innovationen nicht einlassen kann. Es ist engstirnig, phantasielos geworden und so der freien Kunst verschlossen.
Meiner Meinung nach will Tieck mit dem Stück seine Genialität unter Beweis stellen. Er konstruiert ein hochkomplexes Handlungsgeflecht auf mehreren Ebenen, ohne den Faden zu verlieren. Dabei wird es für einen schlichten Zuschauer naturgemäss schwierig, die Handlung weiter nachzuvollziehen. Dadurch stiess das Stück bei der Uraufführung wahrscheinlich auch auf so negative Resonanz. Die Zuschauer waren phantasielos und voreingenommen und konnten die Handlung nach einiger Zeit nicht mehr nachvollziehen. Leander wird in dem Stück als Melancholiker gezeichnet und als ein verkannter Künstler. Ich vermute, dass durch ihn Tiecks Meinung offen ausgesprochen wird. Leander ist sozusagen Tiecks «Alter Ego». Das wird vor allem bei der Diskussion zwischen Leander und Hanswurst deutlich. Dort behauptet jener, das Stück “der gestiefelte Kater” geschrieben zu haben. Die Namen der Zuschauer sind zudem die von Handwerkern. Dies kann ein Bezug auf das Leben des Dichters sein, da Tieck Sohn eines Seilermeisters war. Ich vermute deshalb, dass seine Beziehung zu seinem Vater schwierig gewesen sein könnte und dies ihn zusätzlich zu diesem Werk veranlasst hat. Doch das ist natürlich eine Hypothese, die allein auf Spekulationen beruht. Allgemein ist das Werk voller möglicher Interpretationsansätze. So könnte man auf die erwähnten Szenen mit dem Liebespaar genauer eingehen. Jene und das sehr knappe Ende des Liebesmärchens könnten eine Kritik zu der Neigung zeitgenössischer, romantischer Dichter zum Kitsch sein.